Erpressung mit Nacktfotos
Frau K. läutet völlig aufgelöst beim Kinderschutzzentrum. Sie habe gerade bei der Polizei ausgesagt und von dieser unsere Adresse bekommen. Ihre Tochter (13 Jahre) hätte ihr gestern erzählt, dass der ältere Bruder der Nachbarsfreundin, welchen sie von klein auf kenne und den sie auch häufig besuche, sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen habe. Sie hätte ihm gesagt, dass sie das nicht wolle, aber er sei so viel stärker als sie und habe ihr außerdem gedroht, Lügen über sie zu verbreiten. Außerdem besitze er ein Nacktfoto von ihr, welches er dann ins Internet stellen würde. Frau K. bittet nun um Unterstützung für sich und ihre Tochter im Strafverfahren.
Das Prozedere – so könnte es sich im Fall von Familie K. zutragen
Wie geht es weiter?
Schritt 1: Mit Frau K. wird ein schnellstmöglicher Erstberatungstermin vereinbart. Dieses Gespräch dient als Orientierung sowohl für die Mutter (Bezugsperson), als auch für den/die Prozessbegleiter(in). Dabei ist es in unserer Einrichtung üblich, das Kind/den Jugendlichen noch nicht zu involvieren. Hilfreich ist es, wenn zu diesem Termin eine Kopie der Zeugenaussage bereits mitgebracht wird (Anmerkung: Jeder Zeuge hat das Recht, seine Aussage direkt von der Polizei ausgehändigt zu bekommen).
Schritt 2: Es gilt Eckdaten abzuklären, ob (und in welchem Kinderschutzzentrum) eine Prozessbegleitung begonnen werden kann: die Minderjährigkeit des Opfers, das Delikt (sexuelle und/oder körperliche Gewalt bzw. Androhung dieser) und der Tatort (um festzustellen welcher Gerichtssprengel zuständig ist). Bezugsperson und Opfer sollen einverstanden sein, juristische und psychosoziale Prozessbegleitung zu erhalten. Prozessbegleitung ist ein Recht des Opfers, aber keine Pflicht.
Schritt 3: Erklären der Aufgaben einer juristischen und einer psychosozialen Prozessbegleitung (PB).
Juristische PB: Dem Opfer wird ein Rechtsanwalt zur Verfügung gestellt. Dieser wird über das Kinderschutzzentrum vom Klienten beauftragt, das Opfer vor Gericht zu vertreten. Der Rechtsanwalt bekommt Zugang zu allen Protokollen (was Zeugen und Beschuldigte vor Polizei und Gericht ausgesagt haben) und ist bei allen Gerichtsverhandlungen anwesend.
Durch sein juristisches Fachwissen bekommt der Klient die Informationen, welche gerichtlichen Schritte folgen.
Psychosoziale PB: Die Aufgaben des psychosozialen Prozessbegleiters gliedern sich grob in zwei Bereiche. Zum einen gilt es Termine zu koordinieren und als Schnittstelle zwischen Jurist (und anderen Helfergruppen, wie Polizei, Kinder- und Jugendhilfe, Gericht usw.) und Klient zu dienen (Informationsweitergabe). Zum anderen ist er Anlaufstelle für das Opfer und dessen Bezugsperson. Dieser zweite Bereich umfasst die Begleitung durch das Strafverfahren im Sinne von Aufklärung (was bei Gericht passiert) und emotionale Unterstützung (Sorgen, Ängste, Befürchtungen, Gefühle). Da sich bei Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen unterschiedliche Bedürfnisse einstellen, wird meist ein zweiter Prozessbegleiter hinzugezogen.
Was heißt das genau?
Schritt 4: Frau K. bekommt einen Termin mit ihrer Tochter. Dabei ist nun ein weiterer Prozessbegleiter anwesend, der bereits über die Situation informiert ist. Für die Tochter wird kurz umrissen, dass sie beim Strafverfahren begleitet wird und was das beinhaltet.
Schritt 5: In den nachfolgenden Wochen gibt es bedarfsorientierte Kontakte mit Frau K. und regelmäßige Termine mit der 13-jährigen Tochter (Einzelkontakte). In dieser Zeit gilt es, für Fragen aller Art ein offenes Ohr zu haben, also Vertrauen aufzubauen und Ängste abzubauen.
Schritt 6: Vorbereitung des Opfers auf eine mögliche Zeugenaussage vor Gericht. Hierbei wird nicht mit dem Kind geprobt, was es vor Gericht zu sagen hat, sondern der Ablauf erklärt. Die Prozessbegleitung dient nicht dazu, Aussagen zu üben. Das tatsächliche Delikt wird meistens gar nicht thematisiert, da eine Prozessbegleitung nicht der therapeutischen Aufarbeitung des traumatischen Erlebnisses dient.
Schritt 7: Wenn ein Gerichtstermin zustande kommt, werden sowohl die Tochter als auch(wenn gewünscht) Frau K. zum Gerichtstermin begleitet. Dann gilt es abzuwarten, wie das Gericht entscheidet. Die Prozessbegleitung informiert dann über die möglichen Optionen und steht der Familie weiterhin unterstützend zur Seite.
Schritt 8: In der Phase des Wartens finden Gespräche meist nur nach Bedarf statt. Dabei wird auch geklärt, ob für das Kind noch weitere Termine (im Sinne von Therapie) nötig sind. Diese fallen dann nicht mehr unter die Prozessbegleitung, sondern dienen bereits der Bewältigung bzw. Aufarbeitung.
Mit wem hat das Kind bzw. Jugendliche während einer Prozessbegleitung möglicherweise direkt oder indirekt zu tun?
Polizei: Mit eigens geschulten BeamtInnen, welche die Minderjährigen befragen, entweder in der zuständigen Polizeiinspektion oder auch durch eine/n MitarbeiterIn des LKA (Landeskriminalamtes).
Kinder- und Jugendhilfe (KJH): Diese wird über ein Gewaltdelikt bei Minderjährigen von der Polizei informiert. Ein/ SprengelsozialarbeiterIn klärt mit der Familie, ob eine Unterstützung notwendig ist.
Krankenhaus
Psychosoziale/r ProzessbegleiterIn
Rechtsanwalt/Anwältin
Gericht: Rechtsanwalt/Anwältin, RichterIn, Staatsanwaltschaft, SchriftführerIn, Sachverständige/r, GutachterIn
Weiterführende Info für Kinder, Jugendliche, Eltern, Bezugspersonen und Fachleute unter: www.pb-fachstelle.at